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Dienstag, 21. Mai 2019

Invisalign kommt nach Deutschland – Teil 1

Viel falsch gemacht – Hat trotzdem funktioniert

Heute sind sie in zehntausenden von Mündern: Die Clear-Aligner, K-Liner, Harmonieschienen oder eben Invisalign, das Original. Und das kommt aus Santa Barbara, Silicon Valley im sonnigen Kalifornien. Schlaue Jungs hatten eine erste Anwendung der Stereolithographie (heute vulgo: 3-D-Drucken) gefunden. Das war damals, also im Jahr 2001, eine außerordentlich aufwändige Technik, brandneu und völlig unbekannt. Die Aufgabe war klar definiert: Deutschland erobern in 9 Monaten. So ein bisschen Blitzkrieg à la California also.

Bewaffnet mit einem humorvollen kalifornischen Professor der Kieferorthopädie, einer kalifornischen Kieferorthopädin, die auch die Titelseite der Vogue hätte schmücken können, einer deutschen Kieferorthopädin mit Charme und der rudimentären Osseotite™-Truppe ging es in die Schlacht. Allein die finanzielle Ausstattung ließ keinen Zweifel am Erfolg zu. Wenn wir gewusst hätten, welche Steine wo überall im Weg lagen, was für ein immenser persönlicher Einsatz plötzlich gefragt war, wir hätten durchaus berechtigte Zweifel gehabt.

Die Truppe der Ahnungslosen stolpert aufs Schlachtfeld

Mit Ausnahme der o.g. Kieferorthopäden hatte genau keiner der Truppe Erfahrungen im Bereich der Kieferorthopädie, speziell nicht mit niedergelassenen Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden. Auch unsere deutsche Kieferorthopädin nicht, hatte sie doch gerade eben erst ihre Facharztausbildung abgeschlossen. Unsere Strategie war einfach: Wir machen es wie immer. Vorne Push-Marketing in die Ärzteschaft hinein, von unten Pull-Marketing durch die nachfragenden Patienten, angewandtes Praxismarketing also. Kein Problem, alles easy.

Von wegen. Hier eine kleine Liste der unvorhergesehenen, aber ernsthaften Schwierigkeiten.

Erstens: Wie soll man ein Auto verkaufen, wenn keiner weiß, was ein Auto ist?

Wenn ein Verfahren oder Produkt völlig neu und völlig unbekannt ist, dann bedarf es intensiver und geduldiger Aufklärungsarbeit. Wer meint, speziell im deutschen Gesundheitsbereich, einfach in den Markt hineinmarschieren zu können, der irrt gewaltig. Da kommt Gegenwind aus allen Ecken und Enden auf. Von übler Nachrede, öffentlicher Denunziation, offener Ablehnung gegen alles Neue, negativer ethischer Bewertung (siehe oben), lauten Zweifeln an der Wissenschaftlichkeit bis hin zu wissentlichen Falschmeldungen, wir bekamen das ganze Programm zu spüren. Eine detaillierte Einzelaufzählung an dieser Stelle erspare ich mir aus Höflichkeit.

Sie können heute noch nachlesen, dass führende wissenschaftliche Köpfe seinerzeit davor warnten, schneller als 50 km/h zu fahren, da der Mensch ansonsten ersticke. Nach drei Monaten erinnerte ich mich dunkel und mit Schrecken an Grafelmanns Worte: „Herr Zeitz, es nicht immer schlau, erster zu sein.“ Das hatte ich dann gelernt.

Zweitens: Wie soll man ein Produkt verkaufen, das keiner aussprechen kann?

Invisalign. Im angelsächsischen und romanischen Sprachgebrauch erklärt sich dieser Kunstbegriff von selbst. Ganz offensichtlich handelt es sich um etwas, das unsichtbar etwas anderes geradestellt. Im Deutschen hört sich das so an: In Wiesa Liegen. Vermutungsweise geht es dabei um Liegen, vielleicht in speziellen Wiesen? Oder doch in normalen Wiesen liegen? Kein normaler deutscher Sterblicher konnte mit diesem Wort etwas anfangen, schon gar kein Patient.

Ich kann mich nicht erinnern, wie vielen Menschen ich Muster von Invisalign-Schienen gezeigt und sie dann befragt habe, was das sein könne und wie man es benennen solle. Zwei Monate lang habe ich jede freie Minute in der Bahn, im Flughafen und in der Kneipe die Menschheit damit traktiert. Dann hatte ich eine Lösung: Die „unsichtbare Zahnspange“. Das war zwar nicht besser als „motorisierte Pferdekutsche“, hat aber in der Startphase funktioniert

Drittens: Was ist unser Markt, die Kieferorthopäden oder die Zahnärzte?

Für die Zahnärzte sprachen alle logischen Argumente. Zahnärzte sind es gewöhnt, Geld für Sachleistungen, wie beispielsweise Zahnersatz, auszugeben. Kieferorthopäden haben nur geringe Laborkosten, werden also nicht bereit sein, ein teures Verfahren einzukaufen.

Ein gerütteltes Maß an Zahnärzten war schon im Jahr 2002 bereit, Geld für Marketing auszugeben. Die Kieferorthopäden hatten es im Gegensatz dazu geschafft, ihre Anzahl durch eine künstliche Verknappung der Facharztausbildungsplätze klein zu halten. Sie mussten sich keine Sorgen um die notwendige Anzahl von Patienten machen. Sie definierten sich über Freizeit. Wie soll man einer solchen Gruppe etwas verkaufen?

Es gab heftige Diskussionen, am Ende wurde eine politische Entscheidung für die Kieferorthopäden gefällt. Man war der Ansicht, dass man erst die Kieferorthopäden bedienen solle, um die öffentliche Meinung zugunsten von Invisalign zu beeinflussen. Schade. Danach war viel pekuniärer Einsatz gefragt – höflich ausgedrückt.

Viertens: Wie soll man Patienten die Wirkung zeigen, wenn Vorher-Nachher-Bilder verboten sind?

Speziell beim Praxismarketing lohnt es sich häufig, mit Vorher-Nachher-Bildern zu arbeiten, sagt doch ein Bild mehr als tausend Worte. Das damalige Heilmittelwerbegesetz (HWG) verbot aber genau das. Was tun, sprach Zeus. Eine Lösung musste her, ohne das gesamte Projekt zu gefährden.

Um das Risiko, verklagt zu werden, klein zu halten, habe ich eine Firma herausgegründet, die Medical One GmbH (Sie lesen richtig, der Name war 2 Jahre später richtig was wert.). Das Unternehmen beschäftigte sich nur mit der Verbreitung von Vorher-Nachher-Bildern im Medizinbereich. Anrufenden Juristen von Gegenseiten wurde kurz und knapp beschieden, sie möchten gerne den Klageweg beschreiten, wir würden dann die Medical One zuklappen und die Medical Two eröffnen, deshalb sei der Name so gewählt worden. Die verspürten also keine Lust mehr. Niemand hat geklagt. Das Problem war gelöst.

Fünftens: Therapieplanung im Internet ohne Internet

Damit hatten die schlauen Kalifornier nicht gerechnet, dass es trotz Platzens der Internetblase in Deutschland an den wenigsten Stellen rasches Internet gab. DSL-Leitungen waren Mangelware – und sind es an einigen Stellen in Deutschland heute noch. Wie also soll die Therapieplanung im Internet vonstattengehen?

Findige Jungs fanden dafür eine Lösung. Der deutsche Kieferorthopäde musste „nur“ einen Kieferabdruck erstellen (was ihm nicht immer leichtfällt, mussten wir feststellen) und die gewünschte Endposition angeben. Der Rest wurde in Kalifornien erledigt. Ist heute irgendwie auch noch so, habe ich manchmal den Eindruck.

Dieser Umstand hat uns später den Verkauf leichter gemacht, war aber ein wahres Kreuz in der nachfolgenden Roadshow einmal quer durch die Republik (siehe unten).

Sechstens: Große (und renommierte) Werbeagenturen treten auf den Plan – und wieder ab

Parallel zu den oben genannten Problematiken bestand die (kalifornische) Firmenführung darauf, dass wir uns Unterstützung von einer großen und wenn möglich renommierten Werbeagentur holen sollten. Auch das Wie wurde uns de facto vorgeschrieben. Dazu musste die Führungsmannschaft nach Santa Barbara fliegen und drei Tage amerikanische Meetings über sich ergehen lassen. Was haben wir gelernt? Meetings können die Amerikaner gut. Und lange. Dann nochmal 12 Stunden im Flieger Richtung Düsseldorf sitzen.

Zurück in Deutschland mussten Agenturen zum „Pitching“ eingeladen werden, also einer (kostenpflichtigen!) Ideenpräsentation. Was war das Ergebnis? Ganz viel bunte Pappen, mehrere hundert Seiten Konzeptpapiere, vertane Zeit und herausgeworfenes Geld. Hier zwei Beispiele glorioser Creativität (natürlich mit C, weil von Creative Directors präsentiert).

  • Werbeplakate in Kneipenklos mit dem Slogan „Während Sie hier stehen, korrigiert Invisalign Ihre Zähne“. Unglaublich aber wahr. Glatter Verstoß gegen §1 der Regeln für erfolgreiche Gesundheitskommunikation (siehe unten).
  • Auftreten von „Invisalign-Engeln“ in großen Einkaufszentren. Peinlich. Das wurde dann sogar einmal im Ruhrgebiet gemacht. Und sofort wieder eingestellt. Ein paar Jahre vorher hatte ich das selbst schon mal an einem Donnerstagmorgen bei IKEA erlebt. Richtung Eingangstür kamen mir 6 „IKEA-Engel“ entgegen mit der Frage „Was wünschen Sie sich von IKEA?“ Meine Antwort: „Einen kinderfreien Tag“. Sofort waren keine Engel mehr da.

Auf in die Kampagne

Aller Widrigkeiten zum Trotz waren wir nach drei Monaten, wenn auch ziemlich lädiert, startklar für die Kampagne. Die ganze Invisalign-Truppe war in die Räumlichkeiten der Informationsstelle Gesundheit eingezogen, das Call-Center arbeitete im Zweischichtbetrieb, die Flure lagen voller Prospektmaterial, ein Techniker sorgte für Druckerpatronen-Nachschub, DSL-Leitungen wurden durch die Fensterrahmen an den Außenwänden hochgezogen, eine wirklich gut funktionierende Homepage war erstellt, alles war sehr busy.

Lesen Sie auch den zweiten Teil der Story unter Invisalign kommt nach Deutschland – Teil 2

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