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Freitag, 10. Mai 2019

Die Thrombozytenschleuder – ein Intermezzo

Kurz vor meinem Weggang von MyMedia hatte ich noch das Vergnügen die PRP-Kampagne (Plättchenreiches Plasma, platelet rich plasma) begleiten zu dürfen. Auch bei dieser Kampagne sollte die Zahnärzteschaft im Praxismarketing unterstützt werden. In der Zahnärztewelt wussten danach alle, was eine „Thrombozytenschleuder“ war, in der Patientenwelt blieb die Erkenntnis, dass „Feste Dritte in 1 Tag“ bei der implantologischen Behandlung zumindest theoretisch möglich waren.

Im Grunde ging es lediglich darum, die Osseointegration von Zahnimplantaten durch das Benetzen der Implantate mit aus Patientenblut gewonnen Thrombozyten direkt vor der Insertion zu beschleunigen. Dafür bedarf es einer Zentrifuge – der „Thrombozytenschleuder“. Mit von der Partie war die Osseotite™-Truppe. Diesmal lief (im Vergleich zur Einführung von Invisalign®) alles entschieden professioneller. Der Widerstand, von welcher Seite auch immer, war schwach, obgleich das Versprechen „Feste Dritte in 1 Tag“ doch reichlich waghalsig war. Alle in der Dentalwelt wussten, dass ihnen diese Kampagne auch hilft, war sie doch nicht an ein Implantatsystem gebunden.

Kampagnenfinale im Adlon

Das Kampagnenfinale fand im Adlon, Berlin, statt. Ganz großes Kino. Über 300 implantologisch tätige Zahnärztinnen und Zahnärzte wurden für die Handhabung von PRP fortgebildet (ich habe vergessen, ob es schon Fortbildungspunkte gab), Pressekonferenz im Adlon, Direktübertragung einer Live-OP in die Tagungsräume, Überreichung des Deutschen Patientenkommunikationspreises (!), große Abschlussparty mit Anke Engelke und Band. Wie gesagt, das ganz große Besteck. Kein Auge blieb trocken.

Ach, waren das Zeiten, in denen man im Medizinbereich die Fernsehleute noch kostenfrei vor die eigene Karre spannen konnte – und das mit positiven Nachrichten. Da die Live-OP in einer Berliner Praxis stattfinden musste, versammelten sich dort die Fernsehteams von RTL, Sat1, Pro7, etc.etc. Um den Behandlungsstuhl herum war ein Gerüst aufgebaut worden für die Beleuchtung und die Kameras. In der Praxis ging’s zu wie in einem Bienenstock. Zahnimplantat-Koryphäen aus München schritten zur Tat. Die Patientin nahm es erstaunlich gelassen.

Schnell war allen beteiligten Fernsehteams klar, dass nicht die gesamt Horde Platz im OP-Raum hatte. Das RTL-Team blieb im OP-Raum mit dem Versprechen, die Aufnahmen hinterher allen anderen Teams zur Verfügung zu stellen (Fernsehsprech: zu poolen), um diese dann im 19-Uhr-Block zu senden. Diese Herrschaften bevölkerten also nun gelangweilt die Praxisräume. Dumm gelaufen – man durfte nicht mal rauchen.

Praxismarketing live und aus der Hüfte geschossen

Traurig saß auch der damals junge Praxisinhaber da. Seine Praxis war komplett auf den Kopf gestellt worden (das können Fernsehleute in wenigen Minuten), er hatte schlicht und ergreifend vergessen, sich seinen Teil vom PR-Kuchen zu sichern. Es entspann sich folgendes kurze Gespräch:

„Peter, kann es sein, dass ich hier leer ausgehe?“

„Marcus, das muss nicht sein. Willst Du vor allen anderen die gute Nachricht verkünden, dann zieh‘ Dir einen weißen Kittel an und leg‘ 5000 Mark zu Seite.“

„Warum?“

„Marcus, Du bist dann der erste Experte. Du kommst eine Stunde früher im 18-Uhr-Block. Die 5000 Mark wird Dir die Kammer als Strafe aufbrummen.“
(Bitte nicht vergessen: Außenauftritte in Berufskleidung waren damals streng verboten und wurden hart geahndet.)

Der Praxisinhaber versorgte sich also mit einem frischen weißen Kittel, ich versorgte die herumlungernden TV-Teams mit einer für alle erfreulichen Information. „Wollt Ihr vor RTL in den 18-Uhr-Block kommen? Ich überrede den Praxisinhaber zu einem Interview. Der Mann ist PRP-Experte, deshalb läuft das auch hier in dieser Praxis.“ Marketingleute müssen von Zeit zu Zeit ein bisschen flunkern.

Drei Minuten später surrten die Kameras. Ein ausgesprochen telegener Praxisinhaber informierte über die Vorzüge der PRP-Behandlung. Von jedem Team blieb danach nur einer in der Praxis, der Rest verzog sich schnellen Schrittes. Die ersten PRP-Beiträge flimmerten im 18-Uhr-Block über die Sender. Die Praxis des ersten PRP-Experten nahm einen raschen Aufschwung und bietet heute auf über 600qm Zahnmedizin vom Feinsten an.

Fast vergessen: Einige Wochen später waren selbstredend 5000 Mark Strafzahlung an die Berliner Zahnärztekammer fällig. Sehr gute Investition. Über Monate war die Praxis ausgebucht. Praxismarketing aus der Hüfte geschossen. Klappe zu.

Der Gieselmann’sche Rösselsprung

Dann aber lief alles wie geplant und weiter oben schon erwähnt. Die nunmehr mit Zahnimplantaten versorgte Patientin erschien auf der Bühne und biss tapfer in einen Apfel. Tosender Applaus. Preisverleihungen. Anke Engelke mit Band. Alle schwangen die Beine. Party bis tief in die Nacht hinein.

Kurz vor der Party aber durfte ich einen denkwürdigen Moment im Leben eines Marketingmanns erleben. Der 3i-Deutschland-Chef stand auf der Bühne und richtete an die versammelten Zahnärztinnen und Zahnärzte die Frage, ob sie sich nunmehr als Experten für die PRP-Therapie fühlen würden. Wenn ja, dann möchten sie sich doch bitte im Nebenraum in die Expertenlisten eintragen, damit ihre Praxis als Experten-Praxis den nachfragenden Patienten genannt werden könne. Das sei die optimale Maßnahme für ihr Praxismarketing (und seinen Produktabverkauf).

Über 300 Experten in spe bewegten sich schlagartig in den Nebenraum. Die dentale Welt hatte wenige Minuten später 300 PRP-Spezialisten mehr und den Gieselmann’schen Rösselsprung erlebt. Einfach genial.

Epilog

Einige Wochen später hatte sich der Rauch verzogen. Die nachfragenden Patienten wurden über eine Patientenorganisation mit Spezialisten-Listen versorgt. Alle hatten reichlich zu tun. Die Mannschaft machte Urlaub auf den Bahamas. Einer verschwand für 2 Tage nach Kalifornien. Dann wurde der nächste Plan ausgeheckt. Wieder eine Produkteinführung unter Zuhilfenahme von Methoden des Praxismarketings. Wir hatten richtig Feuer gefangen.

To be continued.

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