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Donnerstag, 6. Mai 2021

Neues Medizinprodukterecht ab 26.05.2021

Bedeutung für die Zahnheilkunde und die MKG-Chirurgie

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Prof. Dr. Dr. Karsten Fehn, Köln

  • Einleitung
  • Begriffe
  • Anwendungsbereich
  • Pflichten
  • Mögliche Folgen von Pflichtverletzungen
  • Zusammenfassung

Einleitung

Am 26.05.2021 tritt das Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Medizinprodukte vom 28.4.2020 (MPDG) in Kraft und löst das bisherige Medizinproduktegesetz (MPG) ab. Das MPDG geht auf die Verordnung (EU) 2017/745 vom 05.04.2017 (Medical-Device-Regulation, MDR) zurück und sollte ursprünglich bereits zum 26.05.2020 in Kraft treten. Dieser Zeitpunkt wurde wegen der Corona-Pandemie jedoch um ein Jahr verschoben.

Das MPDG hat für prothetisch tätige Zahnärzte, Kieferorthopäden und MKG-Chirurgen weitreichende Folgen. Die EU-Kommission stellte insoweit auf Anfrage hin klar:

„Zahnärzte und Zahntechniker, die Zahnersatz […] herstellen, gelten als Hersteller gemäß der Definition in Art. 2 Nr. 30 der MDR. […] Die Methode der Herstellung ist dabei nicht relevant.“ (Ref. Ares (2017) 4450987 – 12/09/2017)

Damit findet das MPDG im Zusammenhang mit der Mund-, Kiefer- und Zahnheilkunde im weiteren Sinn Anwendung auf:

  • Hersteller*innen von Zahnimplantaten;
  • selbstständige Zahntechniker und Dentallabor-Gesellschaften;
  • prothetisch tätige Zahnärzte;
  • prothetisch tätige MKG-Chirurgen und
  • Kieferorthpäden

Begriffe

Zum besseren Verständnis des rechtlichen Zusammenhangs sind die Begriffsdefinitionen des MPDG bzw. der MDR kurz zu erörtern:

  • Hersteller = natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder als neu aufbereiten bzw. entwickeln, herstellen oder als neu aufbereiten lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet (§ 2 Abs. 1 MPDG bzw. Art. 2 Nr. 30 MDR);
  • Sonderanfertigungen = Produkte, die speziell gemäß einer schriftlichen Verordnung einer aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Ausstellung von Verordnungen berechtigten Person angefertigt werden, die eigenverantwortlich die genaue Auslegung und die Merkmale des Produkts festlegt. Das jeweilige Produkt darf nur für einen einzigen Patienten bestimmt sein und muss ausschließlich dessen individuellem Zustand und dessen individuellen Bedürfnissen entsprechen (§ 2 Abs. 1 MPDG bzw. Art. 2 Nr. 3 Satz 1 MDR)
  • implantierbare Produkte = Produkte, die dazu bestimmt sind, durch einen klinischen Eingriff ganz in den menschlichen Körper eingeführt zu werden […] und nach dem Eingriff dort zu verbleiben, auch wenn es vollständig oder teilweise resorbiert werden soll. Als implantierbares Produkt gilt auch jedes Produkt, das dazu bestimmt ist, durch einen klinischen Eingriff teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden und nach dem Eingriff mindestens 30 Tage dort zu verbleiben (§ 2 Abs. 1 MPDG bzw. Art. 2 Nr. 5 MDR).

Anwendungsbereich

Daraus lässt sich der eingangs bereits dargestellte Anwendungsbereich zwanglos ableiten:

  • Hersteller von Zahnimplantaten stellen das Implantat als solches her und sind deshalb Hersteller i.S.d. MPDG/MDR.
  • Zahnärzte und MKG-Chirurgen mit ausschließlich implantologischer Tätigkeit setzen bei dem Patienten lediglich ein bereits hergestelltes implantierbares Produkt ohne weitere Veränderung ein und sind deshalb keine Hersteller bzw. Sonderanfertiger i.S.d. MPDG/MDR. Entsprechendes gilt erst recht, für ausschließlich chirurgisch tätige Zahnärzte und MKG-Chirurgen sowie für allgemein-zahnheilkundlich tätige Zahnärzte.
  • Zahnärzte und MKG-Chirurgen mit (auch) prothetischer Tätigkeit sind als Hersteller einer Sonderanfertigung anzusehen, weil die Suprakonstruktion bzw. prothetische Versorgung gemäß einer (zahn)ärztlichen schriftlichen Verordnung erfolgt. Für diese Verordnung besteht mit der (zahn)ärztlichen Approbation eine Berechtigung. Der zahnmedizinischen Prothetik ist wesenseigen, dass sie ausschließlich dem individuellen Zustand und den individuellen Bedürfnissen des Patienten entspricht.
  • Kieferorthopäden sind aus dem gleichen Grund als Hersteller einer Sonderanfertigung zu qualifizieren. Auch hier werden aufgrund einer zahnärztlichen Approbation berechtigterweise Verordnungen für die Herstellung von z.B. Brackets, erstellt. Diese verbleiben aufgrund eines medizinischen Eingriffs für mindestens 30 Tage im menschlichen Körper und sind deshalb als sonderangefertigtes implantierbares Produkt zu qualifizieren.
  • Selbstständige Zahnlabore bzw. Zahntechniker stellen – vergleichbar mit den Herstellern von Zahnimplantaten – Medizinprodukte her und sind damit „Hersteller“. Demgegenüber sind Zahntechniker, die in einem zahnärztlichen Eigenlabor angestellt sind, nicht als Hersteller i.S.d. MPDG bzw. der MDR einzustufen. Hier bleibt der Praxisinhaber Hersteller und damit rechtlich verantwortlich.

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Pflichten

An die Herstellereigenschaft knüpft das MPDG bzw. die MDR teilweise weitreichende rechtliche Folgen. Hersteller bzw. Sonderanfertiger sind verpflichtet

  • ein QM-System vorzuhalten, an das strenge Anforderungen gestellt werden;
  • eine Post Market Surveillance (PMS) und
  • ein Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) durchzuführen;
  • einen Überwachungsplan zu erstellen und
  • bestimmte Berichtspflichten zu erfüllen.

Das QM-System umfasst z.B. Feststellung der anwendbaren grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, Verantwortlichkeit der Leitung, Ressourcenmanagement, einschließlich der Auswahl und Kontrolle von Zulieferern und Unterauftragnehmern, Risikomanagement, klinische Bewertung, Produktrealisierung einschließlich Planung, Auslegung, Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung von Dienstleistungen usw.

Die PMS ist ein System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen, das der Risikoklasse und der Art des Produkts angemessen ist. Der Zahnarzt bzw. MKG-Chirurg muss dieses System planen, einrichten, dokumentieren, anwenden, instand halten und auf den neuesten Stand bringen. Die PMS ist integraler Bestandteil des QM-Systems.

Das PMCF ist ein System zur Überwachung des Medizinproduktes nach dem Inverkehrbringen, das geeignet ist, aktiv und systematisch einschlägige Daten über die Qualität, die Leistung und die Sicherheit eines Produkts während dessen gesamter Lebensdauer zu sammeln, aufzuzeichnen und zu analysieren sowie die erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen und mit dessen Hilfe etwaige Präventiv- oder Korrekturmaßnahmen ermittelt, durchgeführt und überwacht werden können. Die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen ist dabei als ein fortlaufender Prozess zur Aktualisierung der klinischen Bewertung.

Technische Lösungen (Softwarelösungen) zur Erfüllung insbesondere der Pflichten zur Durchführung von PMS und PMCF werden derzeit von verschiedenen Anbietern offeriert bzw. erarbeitet. Eine effektive Lösung hat die ECDI – European Centers for Dental Implantology auf der Plattform einer Studiensoftware entwickelt. Die Rechtskonformität dieser Software wurde vom Verfasser in einem Rechtsgutachten überprüft.

Der Überwachungsplan ist eine Besonderheit für Sonderanfertigungen und muss u.a. enthalten: Informationen über schwerwiegende Vorkommnisse einschließlich Informationen aus den Sicherheitsberichten und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld; Aufzeichnungen über nicht schwerwiegende Vorkommnisse und Daten zu etwaigen unerwünschten Nebenwirkungen; Informationen über die Meldung von Trends; einschlägige Fachliteratur oder technische Literatur; Datenbanken und/oder Register; von Anwendern, Händlern und Importeuren übermittelte Informationen einschließlich Rückmeldungen und Beschwerden; öffentlich zugängliche Informationen über ähnliche Medizinprodukte usw.

Hersteller sind schließlich verpflichtet, die Dokumentation für die zuständigen nationalen Behörden bereitzuhalten, die die Fertigungsstätte/n des Produkts angibt und aus der die Auslegung, die Herstellung und die Leistung des Produkts einschließlich der vorgesehenen Leistung hervorgehen, sodass sich beurteilen lässt, ob es den Anforderungen der MDR entspricht. Die Berichtspflichten umfassen dabei u.a. Name und Anschrift des Herstellers sowie aller Fertigungsstätten, ggf. Name und Anschrift des Bevollmächtigten, zur Identifizierung des betreffenden Produkts notwendigen Daten, Erklärung, dass das Produkt ausschließlich für einen be­stimm­ten Patienten oder Anwender bestimmt ist (Identifikation), Name des Verordnenden und ggf. Name der betreffenden medizinischen Einrichtung, spezifische Merkmale des Produkts, Erklärung, dass das Produkt den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen entspricht usw.

Mögliche Folgen von Pflichtverletzungen

Eine Verletzung der vorgenannten Pflichten kann zu einem erhöhten zivilrechtlichen Haftungsrisiko des (Zahn)Arztes führen. Es könnte sich insoweit aus rein zivilrechtlicher Sicht um eine Verletzung von Dokumentationspflichten (z.B. in Bezug auf PMS oder PMCF) handeln, die parallel zur Verletzung der (zahn)ärztlichen Dokumentationspflicht gemäß § 630h Abs. 3 BGB zu beurteilen sein könnte. Dann wäre anzunehmen, dass solche Maßnahmen, die nicht dokumentiert worden sind, als nicht vorgenommen vermutet werden. Dies führt zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des (Zahn)Arztes, der dann beweisen muss, dass die Maßnahme doch durchgeführt worden ist. Gelingt dies nicht, kann in der vermutet unterlassenen medizinischen Maß­nah­me wiederum ein Behandlungsfehler oder ggf. sogar ein grober Behandlungsfehler liegen, weil ein Verstoß gegen gesetzliche Pflichten, die dem Schutz des Patienten dienen, einen groben Verstoß gegen den Stand der medizinischen Wissenschaft darstellen kann. Ein so angenommener grober Behandlungsfehler wie­de­rum führte zu einer weiteren Beweislastumkehr dahingehend, dass auch die Kausalität zwischen dem Fehler und dem Gesundheitsschaden des Patienten vermutet wird (§ 630h Abs. 5 BGB).

Darüber hinaus können Verstöße gegen die neuen medizinprodukterechtlichen Vorschriften ggf. eine Straftat gemäß §§ 92, 93 MPDG oder eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 94 MPDG darstellen. Hieraus wiederum könnte zudem ein berufsrechtliches Fehlverhalten abgeleitet werden. Auch wäre es denkbar, dass ein konkurrierender (Zahn)Arzt, die (Zahn)Ärztekammer oder die Wettbewerbszentrale denjenigen (Zahn)Arzt wettbewerbsrechtlich abmahnt und strafbewehrt auf Unterlassung in Anspruch nimmt, der sich nicht an die Vorgaben des MPDG hält. Diese sind insoweit als Marktverhaltensvorschriften zu qualifizieren.

Zusammenfassung

Das MPDG bringt neue, weitreichende Pflichten für (Zahn)Ärzte mit sich, die (auch) prothetisch oder kieferorthopädisch tätig sind sowie für selbstständig tätige Zahntechniker und Dentallabore. Betroffene sollten sich rechtzeitig organisatorisch und technisch beraten lassen, um die Pflichterfüllung sicherzustellen und um zivilrechtliche sowie medizinprodukterechtliche, ggf. sogar strafrechtliche, ordnungswidrigkeitenrechtliche und berufsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

Im Juni soll ein Webinar zum MPDG stattfinden, das die ECDI in Zusammenarbeit mit dem Verfasser durchführen wird. Weitere Informationen folgen in Kürze.

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